Dies ist die Rede, die ich anlässlich der Vereinsgründung des Vereins “Lebensmittelpunkt Dannenwalde e.V.” am 25.6.2005 gehalten habe. Sie beinhaltet die Grundsätze der Idee Schulfarm. Leider wurde der Verein nach einem Jahr aus verschiedensten Gründen wieder aufgelöst:
Der Mensch im Ökologischen System
Ziel ist es, Ökologie und städtisches Leben zu verbinden und die Trennung von Produzent und Konsument in der Ernährung zu überwinden und eine ganzheitliche Sichtweise unserer Ernährung zu fördern. Es soll ein Bewusstsein und Handeln entwickelt werden, das die Ökologie (als die Wissenschaft von den vielfältigen Beziehungen zwischen den Lebewesen und ihrer Umwelt, oder umfassender: die Lehre vom Gesamthaushalt der Natur) stärker in den Alltag integriert. Dabei soll die Gemeinschaft dem einzelnen gewissermaßen einen (sozialen) LebensmittelPunkt bieten.
Ökologie = die Wissenschaft von den vielfältigen Beziehungen zwischen den Lebewesen und ihrer Umwelt.
Einige Grundgedanken
Mein Name ist Hans Born. Ich bin kein Ernährungsexperte, und ich habe noch kein Buch geschrieben und habe auch keine traditionelle chinesische Medizin studiert. Und auch kein Ayurveda, kein Feng Shui, kein Shiatsu und und ich war auch noch nie in Asien oder Indien. Und ich habe auch keine 2 Millionen, die ich in Dannenwalde für ein Ayurvedisches Zentrum oder ein Wellness-Institut investieren könnte. Und ich will Ihnen auch nichts verkaufen und weiß auch nicht, was gut für sie ist.
Und doch habe ich eine Idee, die ich mit einem Zitat vorstellen möchte:
“So viele suchen nach allen möglichen Heilungswegen. Und keiner kommt auf das nächstliegende – die Ernährung.”
Dieses Zitat stammt von Jörg Krebber. Den kenne ich zwar auch nicht, der hat aber eine Menge Bücher geschrieben, die ich aber auch nicht kenne. Auf seiner Internetseite können Sie die Bücher und andere Dinge kaufen und der Herr Krebber weiß auch, was gut für sie ist, wenn sie mal Bauchschmerzen haben. Denn der war schließlich bei den Gurus in Indien und Sri Lanka.
In diesem Zusammenhang möchte ich ein Schlüsselerlebnis erzählen, das ich vor ca. 20 Jahren mit meiner Tochter hatte. Meine Tochter war damals so ungefähr anderthalb Jahre alt und hatte Durchfall. Und was macht sie? Sie geht in die Küche und holt sich einen Apfel und eine Banane. Was hätte der freundliche Arzt oder Apotheker empfohlen: Apfel oder Banane essen. Da meine Tochter damals noch keine Bücher von Jörg Krebber lesen konnte, hat mich das schon etwas stutzig gemacht. Offensichtlich gibt es etwas, das uns befähigt, uns gewissermaßen selbst zu heilen. Also so eine Art innerer Arzt oder Instinkt. Und das hat ja wohl jedes Tier, sonst wären die ja ständig krank. Aber haben wir dies nicht auch? Aber leider inzwischen verdrängt und vergraben? Und müssten wir nicht wieder lernen, diese Instinkte in uns zu wecken und zu verstehen?
Dies hört sich jetzt ziemlich einfach an. Ist es aber leider nicht. Aufgrund industriell hergestellter Nahrung – und u. A. deshalb, weil wir kleinen Kindern schon so viel Zucker geben, wissen wir z. B. gar nicht mehr, wann wir satt sind. Und wie ja inzwischen jedes Kind weiß, ist das Problem in der westlichen Welt nicht mehr, dass wir nicht satt werden, sondern dass wir nicht mehr wissen, wie wir die überflüssigen Pfunde wieder loswerden.
Betrachtet man die Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt, so fällt vor allem auf, dass der Mensch sich seit Jahrhunderten immer weiter von der Natur (als sein Nahrungslieferant) entfernt hat und die Nahrungsbeschaffung und Produktion von Spezialisten (Landwirt, Metzger, Bäcker etc.) erledigt wird. Seine Lebensräume verstädtern zunehmend, und er kann sich selbst daher auch nicht mehr als Teil eines (weltweiten) ökologischen Systems begreifen. Eine Kenntnis oder ein Verständnis ökologischer Zusammenhänge existiert kaum und ist, wenn überhaupt, nur theoretischer Natur. (Und hier bitte ich Ökologie nicht als Schlagwort, sondern als die Wissenschaft von den vielfältigen Beziehungen zwischen den Lebewesen und ihrer Umwelt zu verstehen.)
Das Ziel der herkömmlichen Nahrungsproduktionskette ist primär die betriebswirtschaftliche Gewinnmaximierung und nicht, wie es eigentlich erforderlich wäre, das Wohlergehen und die Gesundheit des Menschen und die Erhaltung der Umwelt. Durch die Trennung von Produzent und Konsument sind Kenntnisse über Ursprung, Herstellung und Qualität der Lebensmittel eher virtueller Natur und somit nicht „erleb- und erfahrbar“. Eine wirkliche Kontrolle selbst eines „kontrollierten biologischen Anbaus“ findet nicht statt und der Konsument muss sich auf das Etikett verlassen. Auch Bioprodukte unterliegen demselben ökonomischen Zwang der freien Marktwirtschaft wie Industrielle Nahrung. Da sie verständlicherweise auch teurer als „Aldi“-Ware ist, kann diese „Ökologie“ immer nur für einen Teil der Bevölkerung gelten.
Man mag in diesem Zusammenhang über die Grünen und deren Politik denken wie man will. Aber eines muss man dieser Bewegung , die ja eigentlich aus der damaligen sozialistischen APO-Generation entstanden ist, doch zugestehen: Sie hat unser Bewusstsein über den Zusammenhang zwischen Ernährung und Gesundheit geschärft.
Betrachtet man das ganze unter dem klassischen Gegensatz zwischen Sozialismus und Kapitalismus, so will wohl keiner mehr ernsthaft zum „Staats-Sozialismus“ à la DDR zurück. Allerdings sind aber inzwischen die Auswüchse unserer freien Marktwirtschaft dermaßen krass, dass selbst die SPD jetzt mit einer Kapitalismus-Kritik auf Stimmenfang geht.
Und die vielen Ernährungs-Skandale sind ja eigentlich nur eine logische Folge dieses „freien Wettbewerbs“. Man kann es den Bauern bzw. der Industrie noch nicht mal persönlich ankreiden, dass sie uns irgendwie alle vergiften.
Was können wir aber gegen diese Auswüchse tun? Wir können natürlich warten, bis die Regierung noch ein Gesetz erlässt, das es verbietet, vergifteten Pudding unters Volk zu bringen. Dann gibt es demnächst eben vergifteten Streuselkuchen, was wiederum ein neues Gesetz und ein Kontrollgremium erfordert. (Sie merken sicherlich – ich übertreibe maßlos. Aber ich hoffe, dadurch wird das Problem deutlicher.)
Wir können uns aber auch darauf besinnen, wie alles einmal angefangen hat:
Ursprung aller menschlichen Kultur war die Notwendigkeit gemeinsamer Nahrungsbeschaffung. Soziale Netze waren früher meist auch Ernährungs-Gemeinschaften. Durch die Industrialisierung der Nahrungserzeugung, -verarbeitung und -vermarktung besteht keine Notwendigkeit solcher Netze mehr. Unkenntnis über ökologische Zusammenhänge und eine soziale Vereinzelung war und ist die Folge. Selbst exotische Nahrungsmittel sind für jeden fast überall und jederzeit und „billig“ erreichbar. Ein Zusammenhang z.B. jahreszeitlicher oder lokaler Bedingungen für das Wachstum der Nahrung, ist für den einzelnen nicht mehr sichtbar. Der Mensch entfremdet sich seinem Ursprung, denn alles was der Mensch ist, hat er einmal als Nahrung zu sich genommen: Man ist – was man isst.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf einen Begriff zurückkommen, der leider sehr missbraucht und missverstanden wurde, und der sicherlich bei dem einen oder anderen von Ihnen verständlicherweise Unbehagen verursacht: Die Genossenschaft bzw. der Genosse.
Ursprung dieses Wortes geht auf germ. *nauta– „Vieh, Besitz“ zurück, das sich auch in engl. neat und schwed. nöt „Rinder, Vieh“ bezeugen lässt; die Ausgangsbedeutung von Genosse ist also „jemand, der das gleiche Vieh hat“. Aus: https://www.wissen.de/wortherkunft/genosse
Also ein Zusammenschluss von Menschen, die sich gemeinsam um das Essen kümmern. Und das war es wirklich vom Ursprung: verarmte Arbeiter haben sich zusammen einen Bauernhof gekauft und den Landwirt bezahlt, der für sie die Nahrung angebaut hat. Und genau da sind wir beim Punkt. Nämlich beim Lebensmittelpunkt.
Müssten nicht eigentlich unsere Bauern und Landwirte Beamte sein. Sind nicht sie es, die zumindest für einen Großteil unserer Gesundheit und das ökologische Gleichgewicht in der Natur zuständig sind. Müsste nicht eigentlich die Nahrungsproduktion (als die Ausnahme der Regel) aus der freien Marktwirtschaft und der kapitalistischen Produktion herausgenommen werden und einer demokratischen Kontrolle der Konsumenten unterliegen.
Und wer hindert uns daran dies zu tun? Schließlich leben wir in einer freien Marktwirtschaft.
Da ich leider kein Landwirt bin und gerade mal Spinat von einer Mohrrübe unterscheiden kann, und auch (außer Spätzle) nicht besonders gut kochen kann, fällt es mir allerdings schwer, dies alles selbst zu erledigen. Aber vielleicht können wir uns ja einigen:
Essen müssen wir alle. Und gesund essen wollen wir auch alle. Also können wir uns doch darauf verständigen, dass wir wieder gesundes Essen auf den Tisch bekommen. Sozusagen als kleinster gemeinsamer Nenner. Vielleicht erst mal mit kleinen Brötchen – sprich z. B. Kartoffeln. Und sozusagen erst mal symbolisch. Und auch als soziales Netz, das auch ein wenig die soziale Vereinzelung wieder aufhebt. Denn eigentlich brauchen wir den Nachbarn ja nicht mehr: Wir haben ein (oder sogar zwei) eigene Autos, unsere Speisekammer ist prall gefüllt, und wenn wir mal den Zucker vergessen haben fahren wir eben schnell zum Spätkauf.
Es besteht keinerlei Veranlassung oder Notwendigkeit mehr, den Nachbarn um etwas zu bitten. Wir haben (fast) alles im Überfluss. Und das häufig zitierte „bessere soziale Verhalten“ untereinander in der ehemaligen DDR, hatte sicherlich auch sehr viel mit deren Mangelwirtschaft zu tun.
Psychische Folge dieser Vereinzelung ist u. A. ein Verhalten, das man auch mit Futterneid umschreiben könnte. Bei Tieren ist uns dieses Phänomen durchaus bekannt. Bei uns selbst bemerken wir diesen Instinkt jedoch nicht. (Eine Suche nach „Futterneid“ bei Google fand nur Seiten, die mit Tieren im Zusammenhang stehen.) Sind wir selbst aber nicht auch Teil solcher Verhaltensmuster? Nicht umsonst fangen Geschäftsleute ihre Geschäftsverhandlungen mit einem Essen an: Ist der (instinkthafte) Futterneid erst mal raus, kann man entspannt verhandeln. Jeder kennt dieses Phänomen auch anderweitig: taucht z.B. jemand mit einer Tüte Eis im Bus auf, läuft einem der Saft im Mund zusammen. Eine Gruppe, die vorher gut und entspannt zusammen gegessen hat, wird sehr viel kreativer und produktiver zusammenarbeiten können, als ein Gruppe, die dies nicht getan hat. Leider gibt es über solche Zusammenhänge keinerlei sozialpsychologischen Untersuchungen, was wiederum zeigt, wie wenig der Mensch sich selbst und seine Instinkte und die damit verbundenen sozialen und ökologischen Zusammenhänge versteht.
Dieses Konzept soll dazu beitragen, dieser Tatsache gerecht zu werden und neue Wege des Miteinanders zu finden. Nicht nur was man ist, sondern auch wie, wo, mit wem man isst und woher die Nahrung kommt, ist für unsere Gesundheit und unser soziales Tun verantwortlich. Ein gemütliches Essen mit Freunden hat sicherlich einen anderen „Verdauungswert“, als ein hektisch eingenommener Schnellimbiss. Ein Zusammenhang zwischen Ernährung und Gesundheit ist hier augenscheinlich. Soziokulturelle Aspekte sind ein nicht zu unterschätzender Faktor in der Ernährung und werden häufig (z.B. bei Ernährungsberatungen) unterschätzt oder gar völlig außer Acht gelassen. Ebenso verwunderlich ist in diesem Zusammenhang auch, dass während eines Medizinstudiums nicht Ernährungslehre als Grundwissen vermittelt wird.
Normalerweise werden wir aufgrund verständlicher Zwänge (z.B. Arbeit, Wohnung etc.) und mangelnder Kenntnis, wohl kaum in der Lage sein (gemäß dem Motto „zurück zur Natur“), jetzt plötzlich einen eigenen Bauernhof zu bewirtschaften. Eine Integration einer „ganzheitlichen Ernährung“ in unser städtisches Leben kann also nicht vom einzelnen erwarten, sein Leben völlig umzustellen. Vielmehr müssen dem Einzelnen attraktive Angebote gemacht werden, die seine Ernährungssituation verbessern und ihn in einen anderen „Nahrungs-Zusammenhang“ stellen. Denkbare Kooperationen innerhalb der Genossenschaft könnten daher neue Möglichkeiten bieten:
• Einkauf und Bezug der Produkte des „eigenen“ Hofes über angeschlossenen Bioläden. Dort könnten z. B. Mitglieder der Gemeinschaft die Lebensmittel quasi zum Selbstkostenpreis erwerben. Darüber hinaus werden selbstverständlich auch alle Produkte zum normalen Preis in den angeschlossenen Betrieben verkauft.
• Essen der „eigenen“ Produkte in angeschlossen Restaurants oder kantine-ähnlichen Einrichtungen
• Urlaub (und Mitarbeit) auf dem „eigenen“ Bauernhof (und somit eine persönliche Beziehung zum Huhn, das einem die Eier legt) Statt ins Fitnessstudio gehen wir halt mal mit auf den Acker.
• “Kontrolle”, Beobachtung und Einblick in die Produktion durch aufgestellte Webcams, die für jeden über das Internet erreichbar wären.
• „Herstellung“ der Nahrung in kleinen Betrieben (z.B. Bäckerei etc.). Hier wäre eine Produktion wünschenswert, die irgendwo in der Mitte einer “Schrebergartenideologie” und der industriellen Herstellung der Nahrungsmittel liegt. Ein Zusammenspiel von alter Handwerkskunst und neuesten Technologien, wäre durchaus dort denkbar, wo sie nicht den “Nahrungswert” der Lebensmittel verändert. (Wie z. B. Genfood, chemische Düngung etc.)
Und zum Schluss möchte ich als ehemaliger Pädagoge und (Mitbe-)Gründer mehrerer Kinderläden in Berlin einen Aspekt ansprechen, der mir persönlich sehr am Herzen liegt und der für eine sog. Nachhaltigkeit eines solchen Konzeptes meines Erachtens außerordentlich wichtig ist:
Die Entwicklung einer Pädagogik, die ökologisches Bewusstsein nicht als einen verschulten Lernprozess, sondern als „gelebte“ Erfahrung im täglichen Umfeld verwirklicht und zum Selbstverständnis werden lässt. D.h. dass Kinder nicht auf irgendeinen „Kinderbauernhof“ oder „Kuscheltierzoo“ abzuschieben sind, sondern vielmehr als Zuschauer und Akteure in der wirklichen Produktion lernen und Erfahrungen machen können. Eine Integration, z. B. in Form einer “Schulfarm” oder eines Schullandheimes für Berliner Kinderläden und Schulen sowie der Umgebung wäre eine langfristige Investition in die Gesundheit und Zukunft unserer Kinder. Dies wäre daher bei jeglicher Produktions-Planung immer zu berücksichtigen. Hierbei muss natürlich der Spaß immer an erster Stelle stehen.
erstellt im Juni 2005
Autor: © Hans Born